Glaubt man der Werbemaschinerie von Warner Bros., so erschien 1973 der schrecklichste Film aller Zeiten. Glaubt man dem Einspielergebnis (inflationsbereinigt 2010: zirka 1.8 Milliarden US-Dollar), so ist es zumindest einer der erfolgreichsten - wenn nicht sogar der erfolgreichste Horrorfilm aller Zeiten. Und glaubt man vielen Kritikern, so ist es zumindest einer der klügsten Horrorfilme aller Zeiten, der immerhin für zehn Oscars nominiert wurde und von denen auch zwei gewann. Egal welches Attribut man „Der Exorzist“ nun anhängen mag, er ist ohne Zweifel ein Klassiker des modernen Horrors, der auch nach fast 40 Jahren noch vollends überzeugen kann. William Peter Blattly schrieb den Original-Roman im Jahre 1971 - angeblich nach einem wahren Fall von Exorzismus, der in den 40er Jahren in den USA Aufsehen erregte. Die Verfilmung seines Erfolgromans übernahm William Friedkin, der vorher bereits dem zum Kultfilm avancierten „French Connection“ inszenierte. Zweifelsohne setzte Friedkin bei „Der Exorzist“ für damalige Verhältnisse auf drastische Schockeffekte. Die besessene Regan kotzt Priestern ins Gesicht, dreht ihren Kopf um 360 Grad oder rammt sich ein Kreuz in die blutigen Geschlechtsteile - aber diese, teils sehr simplen Schockeffekte, sind nicht der wahre Grund für die immer noch anhaltende Popularität des Films (wobei dies nicht zwigend für die damalige Popularität gilt). Die eigentliche Handlung ist weitaus komplexer und behandelt die simpelsten Fragen des Glaubens. Im Grunde ist der eigentliche Hauptdarsteller nicht Regan oder ihre Mutter - schon gar nicht der Dämon - sondern Priester Karras, der unter einer Glaubenskrise leidet und sich für den Tod seiner Mutter verantwortlich macht. So wundert es auch nicht, dass die Kontroverse um den Film zwar oberfläch im öffentlichen Auge um die Schockeffekte, aber die eigentliche Diskussion rein inhaltlich geführt wurde. Hat der Teufel die Priester ausgetrickst? Begann Priester Karras in einem Akt der Selbstlosigkeit den Freitod? Wenn ja, hat er damit nicht seinen Platz in der Hölle eingenommen? Oder hat der Dämon ihn ermordert und ihm aus dem Fenster geschleudert? Und aus welchen Gründen? War es lediglich ein perfides Spiel um zwei gläubige Seelen zu ergattern - denn schließlich verlangte er ja selber nach Pater Merrin - oder wollte er nur Unruhe stiften, den Gottesglauben erschüttern, so wie es Pater Merrin ausdrückte? Doch wenn dies der Fall ist, dann stellt sich wiederrum die Frage, ob seine Existenz nicht bereits den Beweis für die Existenz eines Gottes abliefert - wie könnte man diesen dann erschüttern? Wie immer man es sehen möchte, wie immer man auch die Frage beantworten möchte, eines steht zweifelsohne fest, der Film kann auch noch nach 40 Jahren begeistern und unterhalten.
Pater Karras: „Wieso dieses Kind? Es ergibt keinen Sinn.“
Pater Merrin: „Es geht ihm darum uns verzwiefeln zu lassen. Er will, dass wir uns anders sehen. Animalisch, häßlich. Damit wir erst gar nicht auf die Idee kommen, dass Gott uns lieben könnte.“
Dies liegt vor allem an der sehr ruhigen Erzählweise des Films. Bis es zum eigentlichen Exorzismus kommt, vergehen rund 90 Minuten. Das, wofür der Film am meisten bekannt ist, findet im Grunde nur im letzten Drittel statt. Die Präsenz vom vermeintlichen Hauptdarsteller Max von Sydow als Pater Merrin, beschränkt sich gar auf 20 Minuten. Friedkin verwebt die Geschichte mit mehreren Schicksalen, die er recht klug miteinander verbindet. Und bei keiner der Geschichten hat man das Gefühl, dass sie zu kurz geraten sind. Sei es die Glaubenskrise des Pater Karras, die Ermittlungen von Lt. Kinderman, der Exorzismus von Father Merrin, die fürsorgliche Sorge der modernen und unabhängigen Mutter Chris MacNeil oder die schleichende Inbesitznahme des Dämons von Regan. All diese Plots bauen aufeinander auf und besitzen ihr eigenen Schwerpunkte über die man ganze Bücher füllen könnte. Und dies ist im Grunde das, was den Film auszeichnet. Der Exorzimus oder die Besessenheit Regans ist nicht zwingend der Mittelpunkt des Films, sondern eher der Aufhänger, an dem die Charaktere sich messen müssen. Jeder wird auf seine Art und Weise herausgefordert und getestet. Als Pater Karras die besessene Regan mit Leitungswasser bespritzt und ihr vorgaukelt, dass es sich dabei um Weihwasser handeln würde, spielt der Dämon dieses Spiel mit - um für Verwirrung zu sorgen. Karras hingegen ist sich sicher, dass Regan nicht besessen, sondern phsychisch gestört ist - da sie eben auf das Leitungswasser dämonisch reagierte. Ihre Mutter hingegen ist sich sicher, dass es nicht mehr Regan, sondern der Dämon ist. Eine Mutter könne dies spüren, eine Mutter weiß das. So handelt Friedkin auf sehr kluge Weise mehrere Aspekte der Handlung ab. Auf der einen Seite steht der tief in seinem Glauben erschütterte Pater Karras, der die Besessenheit als Werkzeug des Teufels nicht wahrhaben kann und will, und auf der anderen Seite steht die aufgeschlossene, erfolgreiche und selbstständige Mutter, die im Zeitalter des Feminismus zu alten Glaubensansichten zurückkehrt - oder zu dessen Rückkehr regelrecht gezwungen wird. Sie ist die einzige Person, die weiß, das dieses Wesen nicht Regan sein kann. Und damit akzeptiert sie - vielleicht unwissentlich - sogar den Teufelsglaube. Und somit auch den Gottesglaube.
Pater Karras: „Ich sagte Regan, dies sei Weihwasser. Und als ich sie damit besprengt habe, wurde sie gewalttätig. Es ist Leitungswasser.“
Chris MacNeil: „Wo ist der Unterschied?“
Pater Karras: „Leitungswasser ist nicht geweiht. Regans Reaktion ist also kein Beweis von Besessenheit.“
Diese teils sehr komplexen Handlungen werden wie erwähnt von Friedkin sehr routiniert, ruhig, aber auch pointiert inszeniert, wobei man allerdings anmerken muss, das der ein oder andere Szenenübergang teils recht ruppig gestaltet ist. Interessant ist hierbei seine Musikauswahl - im gesamten Film ist nur an einer Stelle Musik eingesetzt wurden, die man auch wirklich als Filmmusik identifizieren kann. Somit als filmisches Stilmittel. Erst ab Minute 15 erklingt einmal im Film das mittlerweile legendäre Musikstück „Tubular Bells“ von Mike Oldfield. Interessanterweise dann, als alle wichtigen Charaktere eingeführt wurden und bevor die ersten verhaltenen Anzeichen des Grauens sich breit machen. Eine solch fast schon passioniert ruhige Inszenierung, die sich wirklich Zeit damit lässt, ihre Charaktere einzuführen und ihre Geschichte aufzubauen, findet man heutzutage in diesem Genre leider nur noch sehr selten. Ein weiterer Grund den Film hochzuhalten.
Im Zuge des Erfolgs des ersten Films wurden über die Jahrzehnte mehrere Fortsetzungen inszeniert. Bereits 1977 folgte "Exorzist II – Der Ketzer" ("Exorcist II: The Heretic", 1977) der von Kritikern als auch Publikum abgelehnt wurde. Der Film zählt mittlerweile zu den "schlechtesten" Fortsetzungen aller Zeiten, wobei er zweifelsohne seine Qualitäten besitzt. Der unvergessliche Score von Ennio Morricone gehört sicherlich dazu und wurde von Quentin Tarantino sogar für "The Hateful 8" (2015) recycelt. 1990 folgte "Der Exorzist III" ("The Exorcist III", 1990), der unter der Regie von William Peter Blatty, dem Autor des Originalromans, entstand. Seine ursprüngliche Vision schaffte es nicht auf die Leinwand. Der Film wurde vom Studio regelrecht zerschnitten. Erst 2016 erschien der Director's Cut auf Blu-ray. Gleiches galt auch für das Prequel "Exorzist: Der Anfang" ("Exorcist: The Beginning", 2004) von Regisseur Renny Harlin. Dieser übernahm während des Drehs die Regie von Paul Schrader und produzierte einen vollends anderen Film. Schrader durfte seine Version unter dem Titel "Dominion: Exorzist – Der Anfang des Bösen" ("Dominion: Prequel to the Exorcist", 2005) immerhin veröffentlichen und auf Filmfestivals vorführen, doch beide Versionen konnten die Fans letztlich nicht vollends überzeugen. Mittlerweile wurde von Fox sogar eine TV-Serie produziert, die inhaltlich die Ereignisse des ersten Films verarbeitet. Diese umfasst bisher lediglich eine Staffel bestehend aus zehn Episoden. Ob sie fortgesetzt wird, bleibt offen.
„Der Exorzist“ kann auch nach 40 Jahren noch immer begeistern, auch wenn der Zahn der Zeit an dem Etikett „schrecklichster Film aller Zeiten“ sehr genagt hat. Aber im Grunde ist dies auch vollkomen egal, da er seine wirkliche Stärke nicht aus den Schockeffekten zieht, sondern aus den weitaus komplexeren Nebenhandlungen, besonders der Konflikt Religion/Wissenschaft und die Glaubenskrise stehen hier im Vordergrund. Dennoch muss man dem Film zugestehen, dass es die Schockeffekte waren, die dessen Popularität damals hervorriefen. Solch drastische Szenen kannte der reguläre Zuschauer nicht. Weder die vulgäre Sprache, noch der derben Schockeffekte. Im Kontext der Filmgeschichte muss allerdings erwähnt werden, dass „Der Exorzist“ natürlich für Filmfreunde abseitiger Genre-Produktionen gewissermaßen harmlos war. Nichts, was auf der großen Leinwand präsentiert wurde, wurde nicht schon in Bahnhofskino präsentiert. Man denke nur an Herschell Gordon Lewis' „Blood Feast“ aus dem Jahre 1963, oftmals als der Urvater des modernen Splatterfilms bezeichnet, oder aber auch George A. Romeros „Die Nacht der lebenden Toten“ („Night of the living Dead“, 1968). Heißt: Die Schockwirkung konnte sich am Ende natürlich nur unter einem normalen Publikum des Studiosystems vollends entfalten, was wiederum letztlich dazu führte, das drastische Horrordarstellungen den Mainstream erreichten.
Dies ist wohl zweifelsohne einer der Gründe, warum „Der Exorzist“ verhältnismässig früh auf DVD und Blu-ray veröffentlich wurde. Doch leider ist das erste Blu-ray-Release, das den Director’s Cut beinhaltet, nicht komplett. Man kann hier zwar nicht von wirklichen Schnitten sprechen, aber zumindest fehlen in einer Szene zwei Einblendungen, die 2000 nachträglich für den Director’s Cut eingefügt wurden. Folgender Schnittbericht wird dies behandeln.
II. Schnittbericht
Verglichen wurde die deutsche DVD-Fassung des Director’s Cut mit der deutschen Blu-ray-Veröffentlichung des Director’s Cut. Beide Fassungen wurden von Warner Bros. veröffentlicht.
| dt. Blu-ray-Fassung
Länge: 126:41 Minuten Altersfreigabe: FSK 16 |
| | dt. DVD-Fassung
Länge: 126:41 Minuten Altersfreigabe: FSK 16 |
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Schnitte wurden keine vorgenommen - die Unterschiede beschränken sich lediglich auf Einblendungen.