Reale Katastrophen und ihre filmischen Umsetzungen
Die moderne Gesellschaft von heute hat mehrere Wege gefunden, wie sie mit katastrophalen Ereignissen umgeht. Die Verarbeitung der oft traumatisierenden Geschehnisse beinhaltet fast immer ein demonstratives Zusammenrücken und die Beschwörung gemeinsamer Werte in der Bevölkerung. Das sieht man sowohl nach Naturkatastrophen als auch in der Folge von Terrorangriffen, die mittlerweile leider ein immer wieder auftauchender Begleiter des täglichen Lebens sind.
Die lückenlose mediale Berichterstattung ist ein zentrales Element während der "heißen Phase" des Geschehens, mit etwas Abstand kommen dann Retrospektiven und Dokumentationen ins Spiel. Und oft widmet sich dann auch die Filmindustrie dem Ganzen. Die Liste der Verfilmungen, die mal originalgetreu, mal vor allem fiktiv die Ereignisse rund um eine Katastrophe nachzeichnen, ist sehr lang. Man kann bei solchen Filmen ohnehin relativ wenig falsch machen, denn die Sympathien und der Kontext sind von vornherein klar. Bleibt man bei amerikanischen Tragödien jüngeren Datums, fallen einem sicherlich Oliver Stones World Trade Center und Paul Greengrass' Flug 93 als filmische Verarbeitungen ein. Man kann das exploitativ und kalkulierte Geldmacherei nennen oder den Filmemachern die gute Absicht zuschreiben, dass sie symbolisch zur Heilung und Ehrung der Betroffenen beitragen wollen.
Das Boston-Marathon-Attentat und seine filmische Aufarbeitung
Regisseur Peter Berg (Operation: Kingdom, Lone Survivor) hat sich nacheinander gleich zwei realen Katastrophen gewidmet. In Deepwater Horizon ließ er die Besatzung der zerstörten Ölplattform um ihr Leben kämpfen und mit dem hier besprochenen Boston zeichnet er die Bombenattentate beim Boston-Marathon im Jahr 2013 nach. Auch hier ist Mark Wahlberg in der Hauptrolle (die es so beim realen Ereignis nicht gab), doch zahlreiche echte Figuren werden hier durchaus namhaft besetzt, u.a. durch Kevin Bacon, John Goodman oder J.K. Simmons. Das Werk spannt den Bogen von einem nur kurzen Prolog über die Geschehnisse bis hin zur Ermittlungsarbeit. Die Jagd auf die kurz darauf identifizierten Brüder Dschochar und Tamerlan Zarnajew als Täter wird ebenfalls bis zum Tod des einen (Tamerlan) und der Festnahme des anderen (Dschochar) gezeigt.
Peter Bergs Film, dessen Originaltitel Patriots Day lautet, hat die klare Mission, alle Betroffenen und Ermittler als Helden zu zeigen, deren Gemeinschaft und Unterstützung die schrecklichen Taten überwanden. Das ist an sich nichts Schlimmes, findet aber meistens mehr Anklang in dem Land und bei dem Publikum, an das es sich richtet. Aber selbst in den USA konnte der Film sein 45 Millionen-Dollar-Budget nicht wieder einspielen und versandete bei 31 Millionen. Trotzdem waren die Bekanntheit des Ereignisses und die namhafte Darstellerriege als Parameter wohl ausreichend für den deutschen Rechteinhaber StudioCanal, um eine Kinoauswertung vorzunehmen. Für das Drama Stronger mit Jake Gyllenhaal als einem Marathon-Teilnehmer, der durch den Anschlag beide Beine verliert und sich wieder ins Leben zurückkämpft, fand sich bislang keine Kinoauswertung. Vielleicht auch eine Lehre aus dem eher mauen Einspiel von Boston.
Boston und seine deutsche Fassungssituation
So ganz passend erschien dem Label der Film für den deutschen Markt dann aber nicht. Während man im Hauptfilm keinerlei Änderungen vornahm, entschied man sich, einen Nachklapp zu entfernen, der die realen Personen in kurzen Interviewschnipseln zu Wort kommen lässt. Darin beschwören sie ihre Einheit und insgesamt kommt das Ganze schon etwas patriotisch und pathetisch rüber. In Amerika schwillt dabei vor Nationalstolz die Brust, in Deutschland mag man das womöglich als etwas zu dick aufgetragen empfinden.
Bei den Heimkinomedien gestaltet sich die Situation etwas verzweigter. Auf DVD und Blu-ray findet sich als Hauptfilm die deutsche Kinofassung von Boston. Im Bonusmaterial ist der entfernte Teil des Endes allerdings zu finden. Eine Ausnahme bildet die 4K UHD-Blu-ray, denn hier ist der Film in seiner Originalfassung vorzufinden. Das liegt aber nach Auskunft von StudioCanal nicht an der strategischen Intention, das neuere Medium mit einer vermeintlichen Exklusiv-Version künstlich zu promoten, sondern daran, dass man das 4K-Master so vom Lizenzgeber erhalten habe. Wie unten zu sehen ist, würde sich die zusätzliche Szene aber auch nicht wirklich als Kundenköder eignen.
Verglichen wurde die deutsche Kinofassung (FSK 12, Blu-ray von StudioCanal) mit der Originalfassung (FSK 12, deutsche 4K UHD-Blu-ray von Studiocanal).
1 Schnitt = 283 Sec. bzw. ca. 4 Minuten 23 Sekunden