Vergleich zwischen der
Hongkong-Fassung und der
US-Fassung (beide enthalten auf der deutschen Blu-ray von Splendid)
296 dokumentierte Abweichungen, inklusive
* 288 Schnitte in der Hongkong-Fassung
* 65 Stellen mit zusätzlichem Material in der Hongkong-Fassung
* 61 Stellen mit alternativem Verlauf
* 11 Umschnitte
Differenz (ohne Credits): 6 sec
* Zusätzliches Material Hongkong-Fassung: 1790,9 sec (= 29:51 min)
* Zusätzliches Material US-Fassung: 1784,6 sec (= 29:45 min)
Ein paar kleinere Abweichungen unter 0,5 sec wurden im Schnittbericht nicht aufgeführt.
Hintergrund
Jackie Chan wurde nach seinen ersten großen Hongkong-Erfolgen bereits 1980 als heißer Kandidat für den US-Markt gehandelt. Der durchwachsen-charmante
Die große Keilerei unter der vielversprechenden Regie von Robert Clouse (
Der Mann mit der Todeskralle) floppte dann jedoch und sowieso konnte er hier, ähnlich wie in dem zu dieser Zeit abgedrehten US-Star-Vehikel
Auf dem Highway ist die Hölle los, nicht wirklich die Qualitäten präsentieren, welche ihn in der Heimat zum Star gemacht hatten.
Wieder in Asien entstanden in den Folgejahren vorwiegend unter Regie von Sammo Hung einige Kassenschlager, die auch heute noch zu den absoluten Perlen in Jackies Filmographie zählen. 1985 gab es dann mit dem vorliegenden Streifen
Der Protector einen weiteren Versuch, in Amerika Fuß zu fassen. Doch auch hier nahm man Jackie recht schnell die Freiheiten, welche er von seinen Hongkong-Produktionen gewohnt war. Regisseur James Glickenhaus wollte aus Jackie eher eine Art
Dirty Harry machen und allgemein wehte in Amerika dank z. B. den Cannon-Produktionen oder ersten größeren Erfolgen von Stallone, Schwarzenegger und sonstigen 80er-Actionikonen gerade ein anderer Wind. Man zerstritt sich und der fertige Film missfiel Jackie nicht nur wegen beispielsweise Sex- und Drogen-Szenen, sondern vor allem wegen der so gar nicht zu seinem Stil passenden Action-Inszenierung.
Auch wenn es für die amerikanische Auswertung nicht reichte, hatte Jackie immerhin mittlerweile so viel Einfluss, dass er für "sein" Publikum in
Hongkong eine eigene Fassung erstellen konnte bzw. zu retten versuchte, was noch zu retten war. Diese Version ist Gegenstand des vorliegenden Schnittberichts und zeichnet sich durch verschiedene tiefgehende Eingriffe in den Filmverlauf aus, welche im folgenden größeren Abschnitt dieses Intros zusammengefasst werden.
In Japan wiederum nahm man Jackies Hongkong-Fassung als Basis und fügte ein paar wenige Handlungsszenen (sowohl solche, die man bereits aus der US-Fassung kennt als auch eine ganz exklusive) sowie die von Jackie gewohnten Outtakes ein - siehe
Schnittbericht.
Einleitend sei auf die exzellente Analyse
Jackie Chan - How to Do Action Comedy des an sich schon empfehlenden Youtubers
"Every Frame A Painting" verwiesen. Insbesondere die hier genannten Punkte 3-7 kann man an etlichen Stellen der Hongkong-Fassung vom Protector wiederfinden und sie bezeugen, mit wie viel mühsamer Detailarbeit und künstlerischem Anspruch Jackie speziell damals noch ans Werk ging.
Die Hongkong-Fassung
Was gleich erwähnt werden muss und in diesem Umfang eben nur durch einen detaillierten Schnittbericht klar wird: Das
Erzähltempo wurde durch
etliche kleine Schnitte nachdrücklich verändert. Gewissermaßen ist dies schon absurd, wenn man bedenkt, dass westliche Verleiher bei Filmen wie z.B.
Rumble in the Bronx ebenso munter vor allem kleinere Handlungsszenen herausgeschnitten haben, weil dies von der Action ablenkt und z. T. mutmaßlich nicht zu westlichen Sehgewohnheiten passt. Hier kann man umgekehrt erkennen, dass Jackie das Ganze für sein übliches Publikum als zu träge eingestuft und somit bei allen möglichen Einstellungen, die den Film eher in die Länge ziehen, ein bisschen gestrafft hat. Das zeigt sich bei in der US-Fassung recht langen Landschaftsaufnahmen, aber ganz besonders eben bei den
Actionszenen. Nichts von Bedeutung geht so verloren (und ist deshalb im Schnittbericht meist auch in kleiner Schrift gehalten), der Ablauf wirkt in der Hongkong-Fassung einfach deutlich dynamischer.
So erklärt sich jedenfalls auch, warum man beim Betrachten der Hongkong-Fassung nur vergleichsweise wenige komplette Szenen der US-Fassung wirklich vermisst, obwohl immerhin 30 Fehlminuten zusammen kommen. Ein ähnliches Phänomen war übrigens auch bei der
Neuschnitt-Fassung von Jackies Erstlingswerk
'The Master' mit den gebrochenen Händen zu beobachten.
Ebenso passend zu Jackies Stil ist der oft
kurz alternative Verlauf bei Kampfszenen. Durch andere Takes aus übersichtlicherer Perspektive, Umschnitte auf kurze Reaktionen und die geschickte Verknüpfung einzelner Einstellungen ist man hier bei den Auseinandersetzungen einfach viel eher mitten im Geschehen, wie man es bei Jackies anderen HK-Produktionen gewohnt ist. Die US-Fassung wiederum bleibt hier oft ziemlich kalt, langwierig und eher auf Gewalt statt spektakuläre Momente ausgelegt. Nachdrehs waren hier jedenfalls noch nicht mal für nötig, man erkennt einfach eine ganz andere Herangehensweise beim Zusammenbasteln des Rohmaterials im Editing Room.
Tatsächlich gab es aber eben auch einige
nachgedrehte Szenen und dies ist natürlich für viele der interessanteste Punkt an der Hongkong-Fassung. Bei den Kämpfen fällt hier vorwiegend nur die finale Auseinandersetzung mit Bill "Superfoot" Wallace auf. Die neuen Aufnahmen mit ihm sind nicht nur erwartungsgemäß deutlich rasanter, sondern waren ganz offensichtlich auch gefährlicher für Jackie zu drehen (Stichwort Kreissäge). Ansonsten ist natürlich die große
neue Nebenhandlung um Sally Yeh am markantesten. Über die zu Ko führende Münze, welche auch ihr ehemals mit Ko zusammenarbeitender Vater hatte, wird eine relativ krude Verknüpfung zu dem Kriminalfall gezogen und das Sorgen für ihre Sicherheit führt auf dem Weg zum Finale noch zu ein paar Komplikationen. Auf die Weise darf Bill Wallace am Ende nochmal sein Können präsentieren und Jackie eingangs in einem Fitness-Studio ganz nett allerlei Geräte zweckentfremden.
Neben dem Mammutanteil an Mini-Cuts gibt es natürlich auch ein paar
größere Schnitte, vorwiegend bei
Sex-/Drogen-Szenen. Diese bescheren der HK-Fassung eine etwas weniger schmuddelige Atmosphäre. An sich wurde dem Film durch die Übersetzung der ein oder andere derbe Dialog geraubt (darauf wird nicht mehr im Detail eingegangen), aber insbesondere das Fehlen von angedeutetem Oralsex im Massagesalon und den sinnlos nackt angestellten Frauen im Drogenlabor am Ende nimmt natürlich einiges an Brisanz der bekannteren US-Fassung. Aber auch der Tod von Lee Hing auf dem Boot, Michaels patriotisches Begräbnis oder ein paar harmlosere Handlungsszenen wurden entfernt.
Einschätzung & VÖ-Übersicht
Vieles spricht natürlich dafür, der Hongkong-Fassung den Vorzug zu geben. Es ist von den Actionszenen einfach nicht abzustreiten, dass sie hier sowohl durch den neuen Schnitt als auch die Ergänzungen einen professionelleren/ansehnlicheren Eindruck macht und allgemein ist sie eben etwas taktvoller. Andererseits ist die US-Fassung auch genau deshalb immer noch sehr beliebt: Fans von skrupellos-stumpfer 80er-Action kommen hier eben auch auf ihre Kosten und gerade weil das Ganze in Jackies Filmografie eher ungewöhnlich ist, hat es durchaus seinen Reiz. Zudem war die HK-Fassung jahrelang sowieso nicht in guter Qualität aufzutreiben, sodass sich die Meisten wohl schon zwangsweise mit der US-Fassung angefreundet haben.
Die
deutsche Blu-ray enthält lobenswerterweise beide Fassungen, wobei die
HK-Fassung nur im Originalton mit deutschen Untertiteln enthalten ist. So war es im Grunde auch schon bei der etwas länger erhältlichen
US-Blu-ray (dort mit englischen Untertiteln). Hier wie dort ist die als Hauptfilm herhaltende US-Fassung leider nur ein SD-Upscale, wie so oft von Fortune Star. Die HK-Fassung ist ebenfalls nicht in echtem HD, aber hier hat die deutsche Blu-ray zumindest klar die Nase vorn: Neben einer SD-Variante ist auch ein HD-Upscale von anderer Quelle an Bord. Die SD-Version stammt von der alten französischen DVD, welche jahrelang die einzige Möglichkeit war, den Film anamorph in akzeptabler Qualität zu erhalten - die alte HK-DVD versagte bei beiden Kriterien. Der HD-Upscale von anderem Master sieht besonders bei dunklen Szenen sehr bescheiden aus, ist in der Summe aber tatsächlich noch einen Tick besser als das französische SD-Master und wurde deshalb für den Vergleich verwendet. Die US-Blu-ray hatte hier nur ein Master in deutlich schlechterer Qualität an Bord.
Wie eingangs geschrieben, gab es in Japan damals eine
längere Fassung auf Laserdisc. Erfreulicherweise hat es diese als neue Abtastung einer Kinorolle (weltweit bislang einmalig in
echtem HD) auch auf die im November 2014 erschienene
neuere japanische Blu-ray geschafft. Schlägt qualitativ keine Bäume aus (
HIER gibt es ein paar unkomprimierte Screenshots) und für die Meisten dank eingebrannter japanischer Untertitel und einem merkwürdigen Englisch/Kantonesisch/Japanisch-Mix als Tonspur keine wirkliche Alternative - aber immerhin hat es eine solche Langfassung noch in das HD-Zeitalter geschafft.
Auf der
älteren japanischen Blu-ray wiederum fand man neben US-Fassung aus bekannter Upscale-Quelle und einem minderwertigen Master der HK-Fassung zudem noch eine kuriose Bastelfassung, welche wohl mehr oder weniger als Rekonstruktion der japanischen Langfassung gedacht war. Hier nahm man sich die US-Fassung als Basis und fügte ein paar
(allerdings lange nicht alle!) Stellen aus sowohl der HK-Fassung als auch eben die exklusiven Momente der japanischen Langfassung wieder ein. Der Rhythmus passt hier natürlich gar nicht zusammen und wie man anhand der diversen Mini-Schnitte bei der tatsächlichen HK-/Japan-Fassung schon erahnen konnte, kam man auf diese Weise auf eine auf den ersten Blick natürlich interessant klingende besonders lange Laufzeit von ganzen
105 Minuten. Da es sich eher um ein liebloses Flickwerk wie den berühmt-berüchtigten Krekel-Cut von Romeros
Zombie handelt, sollte man davon aber eher die Finger lassen.
Alles in allem kann man mit der deutschen Blu-ray also wie so oft eigentlich ziemlich zufrieden sein. Das Zusatzmaterial der japanischen Fassung liegt zudem in echtem HD im
Bonusmaterial vor bzw. man hat dafür auf die neue japanische Blu-ray zurückgegriffen. Wäre vielleicht auch schön gewesen, hier die gesamte Fassung mit deutschen Untertiteln anzubieten, aber ist im Grunde auch noch zu verkraften - und an den fest eingebrannten japanischen Untertiteln hätten sich dann sicher auch einige gestört.
Laufzeitangaben sind nach dem Schema
Hongkong-Fassung auf deutscher Blu-ray (HD-Upscale) / US-Fassung auf deutscher Blu-ray
angeordnet